Kultur und Geschichte

Führungen über den Jüdischen Friedhof in Altengronau

Ernst Müller-Marschhausen

In einsamer Würde liegt über dem Dorf, oben auf dem Grauberg, der Jahrhunderte alte Jüdische Verbandsfriedhof. Er geleitet uns in eine untergegangene Welt. Sein historisch unversehrtes Gräberfeld mit 1489 identifizierten Grabsteinen ist das zweitgrößte in Hessen. Die nachweisbar ältesten Gräber wurden 1684, 1691 und 1693 angelegt. Hier oben bestatteten die jüdischen Familien von 12 teils weit entfernten Gemeinden ihre Toten - von Heubach über Sterbfritz, Altengronau, Zeitlofs, Burgsinn bis nach Lohrhaupten, ein Einzugs-bereich, der damals über ein halbes Dutzend dynastische Grenzen hinweg reichte und sich heute auf vier Landkreise in zwei Bundesländern erstreckt.

Der fundamentale jüdische Glaubensgrundsatz von der Unantastbarkeit der Totenruhe und der Unversehrtheit der Gräber bewahrte den Friedhof vor jeglichem Eingriff und Wandel und ließ ihn über viele Generationen wachsen. So wundert es nicht, dass auch heute immer wieder Spurensucher aus aller Welt hier oben nach ihren Wurzeln forschen und auf den Gräbern ferner Vorfahren nach uraltem Brauch als Ehrerbietung und zum Gedenken ein paar Steinchen auf die Stele legen. Es waren arme und strenggläubige Juden, die in unserer Heimat lebten und hier ihre letzte Ruhestätte fanden. Die einförmigen, öd anmutenden Sandsteinstelen sind der demonstrative Ausdruck des Gebots, dass alle Menschen im Tod vor Gott gleich sein sollen. Später dann, Ende des 19. Jahrhunderts, beobach-tet man eine behutsame formale Hinwendung der Grabsteingestaltung zum christlichen Zeitstil: die Grabsteine werden in ihrer Form, wenn auch sehr verhalten, etwas individueller und ornamentaler.

Im alten Totenhaus gleich neben dem Eingangstor, so alt wie die ersten Gräber und 1836 erweitert, wurde wenige Stunden vor der Beisetzung des Verstorbenen auf dem Sandsteintisch die Leichen-waschung vollzogen, damit er am Ende der Tage in ritueller Reinheit aufersteht.

Die Friedhofsführung berührt auch kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekt der langen Geschichte des christlich-jüdischen Zusammenlebens in der Region, die seit Jahrhunderten ein Zen-trum jüdischen Lebens war und deshalb in der nationalsozialistischen Hetzsprache als „verjudet" galt. Hier war der Anteil der Juden in manchen Dörfern und kleinen Städten seit jeher viel höher als im deutschlandweiten Durchschnitt von etwa 0,8 Prozent zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Erkenn-bar ist das, um nur ein Beispiel anzuführen, an den noch immer zahlreichen hebräischen und jid-dischen Wörtern, die Eingang in die ganz normale Alltagssprache der christlichen Umwelt gefunden haben und bis heute besonders in der Mundart hervortreten.

Der alte jüdische Friedhof ist eines der selten gewordenen sichtbaren Zeugnisse des christlich- jüdischen Zusammenlebens in unserer Heimat. Wenn heute über dieses Jahrhunderte lange Mit-einander gesprochen wird, verbindet man damit oft ganz unwillkürlich berechtigte Vorstellungen von einer stetig steigenden Folge von Verfolgungen und Pogromen bis hin zum Holocaust. Dabei übersehen wir aber, dass die Juden mit ihren christlichen Nachbarn in unseren Dörfern und kleinen Städten zwischen Rhön und Spessart auf engem Raum meist friedlich zusammenlebten, und dass jüdisches Leben etwas Selbstverständliches auf deutschem Boden war. Auch das ist eine Botschaft dieses einzigartigen Kulturdenkmals, des alten jüdischen Friedhofs auf dem Grauberg in Altengronau.

Kontakte:
Naturpark Hessischer Spessart. Georg-Hartmann-Str. 5-7
63637 Jossgrund-Burgjoß
Tel.: 06059-9067-83
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